Neues vom Schlafbaum
  • Befindlichkeiten

    Seit über sechshundert Jahren gibt es in meiner Heimatstadt den Kläschenmarkt zur Feier des Herrn Nikolaus, beziehungsweise dafür, um vor einem langen, im Bauernhaus eingesperrt ertragenen Winter noch einmal raus vor die Tür zu kommen, um was anderes ficken zu können als Cousins und Cousinen. Noch nicht ganz seit Bestehen des Marktes wird dieser mit Glühwein, Fischbrötchen und Kentucky Derby gefeiert und findet seinen Ausklang auf dem Marktplatz vor dem Ratskeller weil es drinnen voller Pack ist. Schon immer haben mir persönlich die Buden zu früh zugemacht, aber seit diesem Jahr dürfte es jedem zu früh sein, denn man muss nun aufgrund einer AnwohnerbeschwerdeExterner Link Freitags um elf und Samstags um zwölf schließen.

    Nun lässt das Alter des Marktes vermuten, dass er vor dem Anwohner da war und so stellt sich die Frage, warum jemand da hinzieht, der es nicht aushalten kann, dass vier Tage im Jahr Besoffene Leute vor der Tür rumgrölen. Da fällt mir das Schützenfest ein, aber dagegen vorzugehen ist vermutlich schwieriger, da die Feiernden bewaffnet sind. Dann doch lieber gegen Sportplätze vorgehen – das gab es dort auch schon, übrigens bei einem Sportplatz direkt neben dem Schützenplatz.

    Ich dachte bisher, diese Beschwerdekultur sei ein Phänomen nach Berlin gezogener Schwaben, die dafür sorgen, dass Clubs schließen und um zehn Bürgersteige hochgeklappt werden, damit sie sich zuhause fühlen, aber offenbar ist es ein mittlerweile weit verbreitetes Phänomen des übertriebenen Achtens auf Einzelbefindlichkeiten, aufgrund dessen eine komplette Gesellschaft jeden Tag ein Stück Freude verliert.

    Vor meinem Balkon ist zweimal die Woche Markt und neben ein paar echt guten Sachen findet man dort vor allem Lärm, Müll und die Bestätigung der Evolutionstheorie, aber deshalb würde ich mich niemals darüber beschweren, denn der Markt war schon vor mir da (und man fände die Beschwerde vermutlich rassistisch (obwohl es keine Menschenrassen gibt)).

    Ich werde nach Jahren der Abwesenheit dem diesjährigen Kläschenmarkt übrigens beiwohnen, falls es jemanden interessiert. Ich kann ja früh wieder abreisen.

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  • Entnetzt

    Freunde sind eine tolle Sache. Ich hatte bei Facebook davon fast hundert und damit vermutlich weniger als fast alle und keiner davon hat letztes Jahr bemerkt, dass mein Profil wochenlang gelöscht war. Ich kehrte zurück, denn es ist nunmal ein verführerisch einfacher Weg, hin und wieder etwas von anderen Menschen mitzubekommen. Im Januar war das Experiment sehr erfolgreich, zu sehen was passiert, wenn man sein Geburtsdatum löscht, nämlich wie erwartet fast nichts.

    Vor einigen Wochen habe ich aufgeräumt und damit den Begriff „Freundschaft“ zumindest wieder ein kleinem Bisschen geschärft, was natürlich auch niemandem aufgefallen ist.

    Seit gestern habe ich null Freunde, weil eine weitere, gezielte Reduzierung an einigen Stellen unfair gewesen wäre. Mein Profil ist noch nicht gelöscht, damit ich noch ein paar Wochen sehen kann, dass es keine Reaktion geben wird. Die ein oder andere Kommunikation wird mir fehlen, aber der Bruchteil der Leute, der was von mir will, wird andere Wege dafür finden. Der große Rest kann ab jetzt offiziell bleiben, wo er will, denn umgekehrt ist es ja offenbar schon längst so.

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  • Digitale Welt

    Bei Null

    Bei Null

    Mir scheint, der Mensch wird nicht ruhen, bis die Welt versiegelt ist und jedes einzelne Ding auf ihr mit Strom funktioniert. Frohlocket, denn ein weiterer kleiner Schritt dahin wurde heute getan!

    Der jährliche Besuch vom Heizungsablesemokel liegt hinter mir. Ich erinnere mich an Zeiten, zu denen er komische bunte Röhrchen ablas, sie durch andere, komische bunte Röhrchen ersetzte, dann schrieb er die abgelesene Zahl auf ein Stück toten Baum, ich sah sie, musste unterschreiben und bekam einen Durchschlag. Seit einigen Jahren tippt er die Zahl nur noch in ein Gerät und ich bekomme garnichts. Das liegt vielleicht daran, dass die Zahl Jahr für Jahr größer wurde und es damit an der Zeit war, mir diese zu verheimlichen. Auch in der Küche passiert das übrigens, obwohl man die Heizung dort garnicht betreiben kann, da das Ventil von einem Kühlschrank dauerhaft geschlossen wird und komme mir niemand mit Einfrieren – wir sind hier nicht in Moskau.

    Seit eben nun krallt sich ein kleines, elektronisches Gizmo an meine Heizungen und macht Sachen, die ich in keiner Weise nachvollziehen kann und in einem Jahr wird es dem Heizungsmokel irgendetwas zuflüstern und ich stehe doof daneben und weiß nichts, außer dem, das es mir mitteilt, wenn ich sein Knöpfchen streichle (was wie man weiß selten die Wahrheit ist).

    Was ich weiß ist, dass ich am Ende bezahlen darf und daher wünschte ich mir eigentlich ein wenig Transparenz und Information, aber das tue ich auch an so manch anderer Stelle.

    Was ich sehe ist, dass das Elektroding wesentlich kleiner ist als seine analogen Großeltern und ich damit die nun freigewordene Fläche der Heizungen eigentlich neu streichen müsste, was mich besonders ärgert, denn das zahlt mir niemand und die Heizung im Wohnzimmer habe ich erst dieses Jahr neu gestrichen. Obwohl das eigentlich ein Vorteil ist, denn die Farbe davon steht noch auf dem Balkon – wo sie hingehört.

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  • Alte Nummer

    Noch immer juckt die Veränderung in mir, die vom neuen MacBook oder der vorgemachten Sportbegeisterung nicht getötet werden konnte. Die einen werden zur Veränderung gezwungen, die anderen scheuen sie aus Furcht vor der Gewissheit über die Gründe des Veränderungswunsches, oder anders gesagt:

    Mein Projekt „Berlin“ ist gescheitert, aber ein anderer Ort wird mir lachend zeigen, dass der Grund dafür mit mir mitgezogen ist.

    Drum bleibe ich hier, schiebe alle Sorgen auf die Oberflächlichkeit, Egozentrik und Anonymität, aus denen diese Stadt besteht und verändere lieber meine monatlichen Ausgaben, denn das Geld ist ja bekanntlich mein allergrößtes Problem. Das Projekt „neue Telefonanbieter“ neigt sich der Fertigstellung und so bin ich ortsgebunden bei Kabel Deutschland und mobil bei Aldi gelandet. Ich spare dadurch nach anfänglichen Mehrkosten mit der Zeit etwas und kann trotzdem mehr telefonieren, wenn ich wüsste, mit wem. Diese Ersparnis ist nicht groß, aber im Gegensatz zu den abgewehrten Berliner Stadtwerksversuchen kalkulierbar und eine Weile habe ich mich sogar richtig gefragt gefühlt, als o2 mich händeringend zum Bleiben überreden wollte.

    Anschluss, Rufnummernübernahme und Papierkrams klappten auch relativ problemlos, sodass ich eine Weile den Haken gesucht habe. Den habe ich jetzt auch gefunden: Dieses Wochenende bin ich auf dem Handy nicht… ach, wem erzähle ich das überhaupt?

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