Befindlichkeiten
Seit über sechshundert Jahren gibt es in meiner Heimatstadt den Kläschenmarkt zur Feier des Herrn Nikolaus, beziehungsweise dafür, um vor einem langen, im Bauernhaus eingesperrt ertragenen Winter noch einmal raus vor die Tür zu kommen, um was anderes ficken zu können als Cousins und Cousinen. Noch nicht ganz seit Bestehen des Marktes wird dieser mit Glühwein, Fischbrötchen und Kentucky Derby gefeiert und findet seinen Ausklang auf dem Marktplatz vor dem Ratskeller weil es drinnen voller Pack ist. Schon immer haben mir persönlich die Buden zu früh zugemacht, aber seit diesem Jahr dürfte es jedem zu früh sein, denn man muss nun aufgrund einer Anwohnerbeschwerde Freitags um elf und Samstags um zwölf schließen.
Nun lässt das Alter des Marktes vermuten, dass er vor dem Anwohner da war und so stellt sich die Frage, warum jemand da hinzieht, der es nicht aushalten kann, dass vier Tage im Jahr Besoffene Leute vor der Tür rumgrölen. Da fällt mir das Schützenfest ein, aber dagegen vorzugehen ist vermutlich schwieriger, da die Feiernden bewaffnet sind. Dann doch lieber gegen Sportplätze vorgehen – das gab es dort auch schon, übrigens bei einem Sportplatz direkt neben dem Schützenplatz.
Ich dachte bisher, diese Beschwerdekultur sei ein Phänomen nach Berlin gezogener Schwaben, die dafür sorgen, dass Clubs schließen und um zehn Bürgersteige hochgeklappt werden, damit sie sich zuhause fühlen, aber offenbar ist es ein mittlerweile weit verbreitetes Phänomen des übertriebenen Achtens auf Einzelbefindlichkeiten, aufgrund dessen eine komplette Gesellschaft jeden Tag ein Stück Freude verliert.
Vor meinem Balkon ist zweimal die Woche Markt und neben ein paar echt guten Sachen findet man dort vor allem Lärm, Müll und die Bestätigung der Evolutionstheorie, aber deshalb würde ich mich niemals darüber beschweren, denn der Markt war schon vor mir da (und man fände die Beschwerde vermutlich rassistisch (obwohl es keine Menschenrassen gibt)).
Ich werde nach Jahren der Abwesenheit dem diesjährigen Kläschenmarkt übrigens beiwohnen, falls es jemanden interessiert. Ich kann ja früh wieder abreisen.