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Nachdem ich gerade erst wieder über Kreuzberg geschimpft habe, möchte ich hiermit einen Teil des Bezirks loben und preisen, nämlich jenen, der das Bergmannstrassenfest stattzufinden gestattet.
Dieses besuche ich jedes Jahr gern, in diesem Jahr am Samstag mit der Familie zum Schauen und Einkaufen sowie Sonntag allein zum Musikhören und Leberkäsessen.
Auch dieses Fest ist voll, auch hier wird getrunken, aber gestritten oder gegröhlt wurde vor meinen Augen und Ohren noch nie. Es ist hier natürlich auch gerne bunt und multikulturell, aber es ist eine ungewohnte Freude, dass Afrikaner mal nicht trommeln müssen um die Toleranz der Einheimischen zu nähren, sondern jazzen dürfen und zwar richtig gut. Außerdem habe ich auf noch keinem anderen Straßenfest Verkaufsstände für Gözleme und Hüte gesehen und bin fast traurig, weil ich beides aufgrund von Leberkäs und Haupthaar nicht benötigte.
Toleranz und Selbstvertrauen müssen sich die Einheimischen hier nicht durch Verachtung Andersdenkender und Missachtung aller Regeln des geordneten Zusammenlebens erarbeiten, sondern sie scheinen beides einfach zu haben – vielleicht weil sie wirklich arbeiten, denn anders können die Wohnung hier sicher nicht bezahlt werden, oder aber durch einen erhabenen Ökovegan- und Schwangerschaftstunnelblick, den die ansässigen Läden nahelegen, welcher mir an den Festtagen aber nicht negativ auffiel, so viel Mühe ich mir auch gab.
Angesichts der Tatsache, dass offenbar noch niemand gegen das Fest geklagt hat, gehe ich davon aus, dass im Umfeld alle Menschen mit Vernunft gesegnet sind und zu solchen geselle ich mich jedes Jahr gerne wieder für einige Stunden Fröhlichkeit.