Andere Welten
Viele gruseln sich in Berlin ja vor der Nacht. Die ist voll von besoffenen, drogendealenden, frauenvergewaltigenden und ohnelichtbeirotüberdieampelfahrenden Jugendlichen und man ist sich nirgendwo seines Lebens sicher. Eine Schattenwelt, die jeder zu kennen glaubt, die ich selbst aber noch nie gesehen habe und ich war schon oft nachts draußen.
Ich habe hingegen in diesen Tagen eine andere, bisher unbekannte Welt kennengelernt, nämlich die um meine Einkaufspassage am Morgen. Diese zieht sich offenbar des Spätmittags in ihr privates Elend zurück, weil die arbeitende Bevölkerung sie zu Feierabend nicht sehen soll. Hier ist es nicht Grusel, sondern Mitleid, das einen überkommt.
Um diese Zeit wird hier scheinbar genauso viel getrunken wie in Mitte nachts, die Stimmung ist aber ungleich aggressiver. Es spricht die gleiche Hoffnungslosigkeit aus diesen Menschen wie aus den oben genannten Jugendlichen, allerdings hier untermauert mit jahrzehntelanger Erfahrung.
Allerdings scheine ich mich – hoffentlich temporär durch die Krankheit begründet – nicht besonders vom restlichen Klientel zu unterscheiden, denn ich wurde auf dem Heimweg gefragt, ob ich Interesse an einem Job für 10 Euro die Stunde hätte. Als jemand mit so einem Job müsste ich allein für meinen heutigen Arztbesuch und die anschließenden Medikamente einen halben Tag arbeiten. Das finde ich gruselig.